Vor dem Hintergrund der vielen Versuche der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), Kurdinnen und Kurden – insbesondere Jugendliche – für Spitzeldienste zu gewinnen, wollen wir noch einmal auf Grundsätzliches im Umgang mit diesen Personen hinweisen.
Angesprochen werden Menschen gezielt und überall: auf dem Weg zur Arbeit, zu einem Verein, zur Schule, auf dem Universitätsgelände oder auf dem Heimweg. Häufig werden Kurdinnen und Kurden von Frauen oder Männern des Geheimdienstes direkt mit ihrem Namen angequatscht, was die Betroffenen erst einmal in Verwunderung setzen oder ihnen das Gefühl von Vertrautem vermitteln soll.
Bleiben die Angesprochenen stehen, stellen sich die Personen mit (Deck)-Namen, als MitarbeiterIn des VS oder des Innenministeriums vor und zeigen sich interessiert, etwa mit Fragen wie:
„Können wir uns mit Dir/Ihnen mal über den Kurdistan-Konflikt unterhalten?“
„Was denkst Du/denken Sie über die Morde von Paris?“
„Welche Meinung hast Du/haben Sie zu den Aufständen in Istanbul und in anderen Städten der Türkei?“
„Wie denkst Du/denken Sie über den Friedensprozess zur Lösung der kurdischen Frage?“
Spätestens hier gibt es nur EINE Reaktion: NICHT ANTWORTEN, NICHT REAGIEREN, WEITERGEHEN, IGNORIEREN.
GEHEIMDIENSTPERSONAL UNTERWEGS
Das bedeutet aber keineswegs, dass sie damit Ruhe geben. Sie werden es weitere Male versuchen. Das Personal dieser Behörden hat Zeit, Geduld und ist bestens auf seine Aufgaben vorbereitet und insbesondere darin geschult, Menschen anzusprechen, sie zu verunsichern oder unter Druck zu setzen. Niemand sollte glauben, mit denen schon fertig zu werden. Das wäre ziemlich gefährlich, für die Angesprochenen selbst und für andere.
Die AnwerberInnen scheuen auch nicht davor zurück, an der Haustüre zu klingeln oder Betroffene mit Telefonanrufen zu traktieren. Handelt es sich um Minderjährige, werden deren Eltern zum Teil massiv bedrängt und auch bedroht. Die Situation von noch nicht anerkannten AsylbewerberInnen wird hierbei rücksichtslos ausgenutzt und die Drohungen sind konkret: Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, keine Niederlassungserlaubnis, keine Asylanerkennung, Abschiebung.
Bei Jugendlichen gehen die VS-MitarbeiterInnen davon aus, leichtes Spiel zu haben, weil diese politisch noch unerfahren, besser zu beeinflussen und problemloser unter Druck zu setzen sein sollen.
Es wird damit gedroht, die Eltern, die Schule oder den Arbeitgeber über die politischen Aktivitäten zu informieren, wenn man nicht mit dem VS zusammenarbeitet.
Auch jene Kurdinnen und Kurden, die sich von den politischen Zusammenhängen getrennt haben, können nicht sicher sein. Auch von ihnen versprechen sich die VS’ler Informationen über Personen und Strukturen: wer macht was und wo und mit wem hatte man Streit und warum hat man sich gelöst.
Als „Lohn“ für die Spitzeltätigkeit bieten die Repressionsbehörden oftmals regelmäßige Geldzahlungen an, eine Wohnung, ein Auto, einen job oder eine beschleunigte Asylanerkennung.
SPITZEL – IHRE „ARBEIT“ UND DIE FOLGEN
Wir können nur dringend davor warnen, sich mit den Strafverfolgungsbehörden einzulassen, die sich überhaupt nicht für Eure/Ihre Probleme und den türkisch-kurdischen Konflikt interessieren. Deren einziges Interesse ist, die Strukturen kurdischer Vereine und Organisationen auszuforschen und Informationen darüber zu erhalten, welche Veranstaltungen mit welcher Thematik dort stattfinden, wer das organisiert, wer redet oder wie viele Personen anwesend waren, wer Demonstrationen durchführt, wer Bustickets zu Festivals oder Broschüren und Zeitungen verkauft.
Dass Anwerbeversuche durchaus erfolgreich sind, belegen zahlreiche Behördenbescheide an Kurdinnen und Kurden, denen eine beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Einbürgerung verweigert wird. Seitenlange Auflistungen politischer oder kultureller Aktivitäten – teils über Jahre – werden hierfür als Begründung herangezogen. Und es geht hierbei nicht etwa um verbotene Veranstaltungen oder Demonstrationen oder gar um Straftaten. Einzig die Tatsache, dass es sich um Aktivitäten der von den Strafverfolgungsbehörden als „terroristisch“ eingestuften PKK handeln soll, macht aus politisch aktiven Menschen „Kriminelle“ und „Terroristen“. Solche Informationen im Detail können nur von Personen weitergegeben werden, die sich in den Dienst des deutschen Inlandsgeheimdienstes gestellt haben.
WAS BESSER IST:
Wer das alles nicht will, sollte also schweigen.
Stattdessen ist es sinnvoll, ein Protokoll über solche Anquatschversuche mit Orts- und Zeitangabe und sonstigen Einzelheiten anzufertigen, mit Freundinnen und Freunden zu diskutieren und es öffentlich zu machen.
In hartnäckigen Fällen sollte eine Anwältin/ein Anwalt eingeschaltet werden.
Und nicht vergessen: Der Verfassungsschutz hat keinerlei polizeilichen Befugnisse, das heißt, kein Gesetz kann Dich/Sie zwingen, mit diesem Personal zu kommunizieren.
Es gilt, sich selbst und die GenossInnen und FreundInnen zu schützen !
Zahlreiche Kurdinnen und Kurden haben ihre Heimat verlassen müssen, weil sie sich geweigert haben, sich vom türkischen Staat als „Dorfschützer“ gegen die eigene Bevölkerung zwingen zu lassen. Unerträglich ist, dass deutsche Behörden keine Skrupel haben, die gleichen schmutzigen Methoden zur Spaltung, Einschüchterung, Entsolidarisierung und Kriminalisierung anzuwenden.
Kein Kurde und keine Kurdin sollte sich hierfür instrumentalisieren lassen.
STAATSSCHUTZ
Zum Schluss noch einige Zeilen zu Kontakten mit dem Staatsschutz:
Im Grunde gilt im Umgang mit dem Staatsschutz – der politischen Abteilung der Kriminalpolizei – das Gleiche wie für den VS. Einzige Ausnahme: Hier müssen Angaben gemacht werden, die im Personalausweis vermerkt sind und zusätzlich Informationen zur Berufsbezeichnung (z.B. Studierende/r, Auszubildende/r, Selbstständige/r). MEHR ABER NICHT.
Sollte einem Anwerbeversuch evtl. eine ED-Behandlung (Fingerabdruck, Foto etc.) auf der Polizeistation folgen, sollte dagegen unbedingt Widerspruch eingelegt werden, am besten durch Anwältin/Anwalt.
AZADÎ e.V.
Rechtshilfefonds für
Kurdinnen und Kurden in Deutschland
Hansaring 82 * 50670 Köln * Tel. 0221 – 16 79 39 45
Email: azadi@t-online.de
Die Kurden